Hallo miteinander,
gestern habe ich eine interessante Zuschrift zu diesem Thema bekommen, die ich hier anonym mit Euch teilen und beantworten möchte:
Lieber Hans,
mir ist aufgefallen, dass mein Selbstbewusstsein mal wieder sehr im Keller ist. Da hilft auch schwer "Richte Dich auf, Du kannst das". Es ist eben doch nicht einfach...
Heute hat es mein Mann mal wieder geschafft, mir weh zu tun. Er hat sich dann zwar entschuldigt und gesagt, er wollte das nicht. Doch einmal gesagt sitzt der Schmerz dann bei mir tief und ich kann es dann nicht so schnell vergessen. Es arbeitet dann in mir. Warum bin ich so sensibel?...
Liebe A.
Da dieses Problem sicherlich auch andere Leser interessiert, möchte ich Dir auf diesem Wege antworten.
Wie ist das zu verstehen mit dem „Richte Dich auf...“? Du hast völlig recht, dass es nicht einfach ist, mit solch einer Formel umzugehen. Man will sich aufrichten. Es geht aber nicht... Wir sollten dabei vielleicht beachten, dass das Aufrichten auf verschiedenen Ebenen geschehen kann.
Man kann sich körperlich aufrichten. Das bedeutet, dass man sich beim Aufstehen etwas größer macht, als beim sitzen oder beim liegen. Die Übersicht wird dabei schon etwas besser...
Man kann sich psychisch aufrichten. Das bedeutet, belastende Gefühle abzustreifen und durch gute Gefühle zu ersetzen. Das ist der ganze Bereich der Affirmationen.Eine Affirmation ist ein selbstbejahender Satz, den wir uns selbst wieder und wieder sagen, um unsere Gedanken umzuprogrammieren. Als ein Beispiel dafür könnte ich nennen: “Ich glaube an mich. Jeden Tag mehr und mehr.”
Man kann sich aber auch seelisch aufrichten. Das geschieht in erster Linie in der Meditation und im Gebet. Die Wirkung ist durchaus zu spüren. Die meisten meiner Patienten, die nach der gemeinsamen Meditation die Praxis verlassen, verspüren eine deutliche Leichtigkeit. Viele gehen mit einem lockeren Lächeln auf den Lippen, wo es vorher eine erzwungen freundliche Mimik gewesen ist.
Und schließlich kann man sich geistig aufrichten. Das ist die bewußte Suche nach der Gottesnähe. Manche sagen dazu auch, dass sie ihr Schicksal in Gottes Hand legen. Daraus entsteht dann mit der Zeit eine tiefe Gottverbundenheit, die weitgehend immun macht gegen die Sorgen und Kränkungen des Alltags, wie groß sie auch sein mögen.
Somit sind bei dem Aufrichten verschiedene Daseinsebenen gleichzeitig beteiligt, manche stärker, manche weniger stark. Wenn es also noch nicht klappt mit dem Aufrichten, sollte man zunächst versuchen herauszubekommen, auf welcher Ebene es nicht richtig klappt.
Eine Kränkung durch den Lebenspartner, den man eigentlich sehr lieb hat, spielt sich meist auf der psychischen Ebene ab. Sich über eine solche Situation allein psychisch zu erheben, also auf der gleichen Ebene auf der die Kränkung geschieht, wird oft nicht funktionieren.
Wenn es Dir jedoch gelingt, jener Kränkung auf einer Ebene höher, also auf der seelischen Ebene zu begegnen, wirst Du sofort über dieses Alltagsgeschehen hinwegsehen können. Du siehst Euren Lebensplan vor Dir, siehst was Euch verbindet, was Euch eint, wozu Ihr Euch braucht, wozu Ihr bestimmt seid. Diese Sichtweise, soweit sie gelingt, ist schon ein Erheben. Da ist pötzlich das gesprochene und schon wieder bereute Wort einer Kränkung nicht mehr so wichtig. Es wird überlagert von bedeutsameren Phänomenen.
So ist das auch mit dem Selbstbewußtsein. Wenn Du dieses Phänomen auf der reinen Gefühlsebene betrachtest, wirst Du das ganze auf und ab des Lebens in Dich hineinlassen, kommst nicht zur Ruhe und findest nur selten ein Gefühl der Zufriedenheit.
Wenn es Dir jedoch gelingt, Dein ICH BIN, eine oder zwei Ebenen höher wahrzunehmen, wirst Du unverletzlich sein. Der ganze Alltagsstreß wird Dir dann nichts mehr anhaben können.
Aus dieser Sichtweise resultiert auch die Aufgabe, die vor Dir steht:
Suche immer wieder Deine innere Mitte in der Meditation und/oder im Gebet dann bekommst Du mit der Zeit immer stärkeren Zugang zu Deiner seelischen und geistigen Ebene.
Mache die täglichen Probleme ganz klein in Deinen Gedanken. Damit wirst Du Dir selbst immer bedeutsamer. Du spürst ganz deutlich, was Du wert bist mit all Deinen Stärken und Schwächen, die alle ihre Berechtigung haben. Lerne es über die Fehler und Schwächen andere Menschen hinwegzusehen. Das allein stärkt ungemein Dein Selbstbewusstsein.
Das sind natürlich Aufgaben, die nicht von einem Tag auf den anderen zu realisieren sind. Das sind Lebensaufgaben, an deren Lösung sich zu arbeiten unbedingt lohnt.
Du wirst sehen, wie Du Dich an ganz kleinen diesbezüglichen Reaktionen freuen kannst. Wenn es Dir beispielsweise gelingt, über Situationen hinwegzusehen, über die Du Dich früher regelmäßig aufgeregt hast. Solche Situationen werden Dich dann nicht mehr herunterziehen. Du wirst oben bleiben – und das tut sehr gut. Du hast es geschafft, Dich zu erheben. Erst ein ganz klein wenig und dann immer mehr. Ein schönes Gefühl. Ich wünsche es Dir und allen Lesern dieser Zeilen von ganzem Herzen.
Nun noch ein schönes Wochenende
Euer Hans